Begegnung mit Helba Huara

Mein erster Kontakt mit Helba Huara war in diesem Frühjahr, als ich im Derra de Moroda Tanzarchiv arbeitete. Während ich herumstöberte, bemerkte ich einen weißen Schuber mit der Aufschrift „The Dance Magazine“ im unteren Regal und zog eine Ausgabe hervor. Im nächsten Moment hielt ich die Ausgabe vom Februar 1929 in der Hand. Helba Huara war auf dem Cover in einer ausladenden Pose und einem Kostüm abgebildet, das an ein Flamencokleid erinnert und in intensiven Farben gestaltet war. Da ich ihren Namen zuvor nie gehört hatte, begann ich zu recherchieren…

Schnell stellte ich fest, dass es nicht viel über sie zu finden gab. Ein paar Fotos schwirrten im Internet herum, ein Wikipedia-Artikel, und das war’s. In der Tanzliteratur taucht sie, wenn überhaupt, nur als Fußnote auf. Das wollte ich ändern.

Im Rahmen des Forschungsprojekts zu Zeitschriften als Bühnen für den Tanz stellte ich mir zentral auch Fragen dazu, inwiefern Mode- und Tanzzeitschriften den methodischen und thematischen Kanon der Tanzwissenschaften erweitern könnten. Da Helba Huara von der Tanzfläche verschwunden schien, wurden diese Fragen besonders präsent. Wie könnte Helba Huara wieder in das kulturelle Gedächtnis und in den Diskurs gebracht werden und wie könnte mit ihren Spuren umgegangen werden?

Um mich diesen Fragen anzunähern, entschied ich mich dafür mehrere methodische Zugänge auszuprobieren: Zu Beginn – sehr klassisch für eine Tanzwissenschaftlerin – suchte ich nach Quellenmaterial in Büchern, Presseartikeln, Journalen und in den Tiefen des Internets. Wissenschaftliche Sekundärliteratur blieb bei meiner Suche vergeblichst aus. Ich stoß auf viele Abbildungen von Helba Huara in tänzerischen Posen und erfuhr über Kritiken, Rezensionen, Veranstaltungsankündigungen und Künstler*innenportraits mehr über Helba Huara und ihre Art und Weise sich zu inszenieren und zu bewegen. Ich konnte eine kurze Biografie zu ihr erarbeiten.

Helba Huara wurde 1900 als Helba Muñoz in Cusco, Peru, geboren. Ihre Mutter stammte aus Brasilien, ihr Vater, von dem der Name Muñoz stammt, aus Andalusien, Spanien. Sie begann wahrscheinlich schon früh zu tanzen und trat in Peru, Argentinien und Bolivien auf. 1924 wurde sie von den Brüdern Vargas im Estudio de Arte Vargas Hermanos in Arequipa, Peru, fotografiert. Das Fotostudio der Vargas-Brüder war in den 1910er und 20er Jahren ein exklusiver Treffpunkt der Oberschicht, die stark von westeuropäischen Einflüssen geprägt war.

Helbas Spuren sind bis 1927 sehr verschwommen und vage. Mit ihrem Umzug in die USA, genauer gesagt nach New York, änderte sich dies jedoch. 1927 hatte sie ein großes Engagement als Tänzerin und Choreografin am Broadway in der Musical-Revue „A Night in Spain“, die von den Shubert Brothers produziert wurde. Helba Huara tanzte in der Revue ihre choreografierten Soli „Dance of Fate“ und „Dance of Snakes“, für die sie vom Publikum und der Presse als „neue“ und „exotische“ Tänzerin gefeiert wurde. Das Ensemble ging auf Tournee durch die USA.

Das Kostüm, das auf dem Cover der Tanzzeitschrift The Dance Magazine zu sehen war, stellte sich als eines der Kostüme heraus, die sie in der Musical-Revue trug. Helba ist oft in diesem Kostüm in Presseartikeln zu sehen.

Ab 1928 trat sie häufig in der Presse auf, beispielsweise in Ankündigungen für Tanzveranstaltungen, neben bekannten Namen wie Uday Shankar, La Argentina, Harald Kreutzberg und Mary Wigman. In ihren Solodarbietungen erscheint sie einerseits als „spanische“ Tänzerin, in der sie groteske, dramatische Pantomimen zu andalusischen, mittelalterlichen Themen und ihrer speziell entwickelten Kastagnettentechnik vorführt. Andererseits verkörpert sie als „Inka-Tänzerin“ alte Inka-Tänze wie den Kachampa.

Um präziser über ihre Bewegungen zu sprechen: Helba integrierte ausdrucksstarke Mimik und Gesten in ihre Tänze, um pantomimische Erzählungen lebendig zu machen. In Tänzen wie dem Kachampa, einem Inka-Kriegsstanz, verwendete sie weiche Knie und ein tief verankertes Becken, während ihre Sprünge kraftvoll, aber federnd waren und der leicht nach vorne geneigte Oberkörper die Kampfhaltung betonte. Ihre Gelenke blieben flexibel, was flüssige, reaktive Bewegungen ermöglichte. Im „spanischen“ Kastagnettentanz erforderte ihre Technik eine starke Rumpfkontrolle, um die komplexen Torsionen der Wirbelsäule in alle Richtungen auszuführen, was die schnellen, präzisen Armbewegungen und den rhythmischen Klang der Kastagnetten optimal unterstützte. Vielleicht noch aufregender ist, dass die beiden Bühnen-„Personas“ oder „Idiomen“, die sie darstellt und was sie physisch erfordern, kaum unterschiedlicher sein könnten.

In den Rezensionen wird ihre theatralische Ausdruckskraft und ihr „Mut zum Grotesken und Hässlichen“ mit Faszination hervorgehoben. Ein repräsentatives Zitat aus der New York Times vom 28. Januar 1929, das ich anführe:

„Mme. Huara seen in weird Dancing: […] She has assumed a deliberate ugliness of style which cannot be justified on any ground of esthetic vitality, for it masks a shallow intention. That it produces an effect as of a fervid nightmare. This is in no sense derogatory to Mme. Huara, for it is obviously, even obtrusively, declared to be her purpose with every movement of her body and every click of castanets. […] But generally, there was a great deal of fury, a great deal of repetition, and a very small esthetic accomplishment. […] She is inherently a dancer of genuine theatrical power, and it is the more to be regretted that she chooses to expend her talent on so flamboyant a type of performance.“

1930 zieht Helba mit ihrer Familie nach Paris, wo sie weiterhin auf der Bühne auftritt, mit dem Malen beginnt und sich in intellektuellen Kreisen engagiert.

ZU DEN AUSSTELLUNGSRÄUMEN