Katharina Hosemann: „Etwas Neues aufblühen [lassen]“ – Mary Wigmans Tätigkeit als Tanzpädagogin

Dieser Beitrag setzt sich mit den Beständen der Derra de Moroda Dance Archives zu Mary Wigman und ihren pädagogischen Tätigkeiten auseinander. Anhand von Korrespondenzen zwischen Friderica Derra de Moroda, Mary Wigman und ihrer Schule in Dresden und Dr. Strasser, verschafft uns Katharina Hosemann Einblicke ins Archiv. 

Katharina Hosemann: „Etwas Neues aufblühen [lassen]“

Mary Wigmans Tätigkeit als Tanzpädagogin nach Quellen in den Derra de Moroda Dance Archives

In den Sammlungen Friderica Derra de Morodas findet man eine kurze Korrespondenz zwischen ihr und der Wigman-Schule in Dresden. Es handelt sich um zwei vergilbte Blätter Papier. Derra de Moroda schreibt am 6. Mai 1936 aus London an das Sekretariat der Wigman-Schule:  


„Ich bin gerne bereit Notizen über Ihre Schule zu bringen wenn Sie mir immer die Nachrichten bis zum 10. des Monats einsenden. Ueber Ihre Sommerkurse habe ich bereits berichtet und wollte auch anfragen ob Sie nicht eine Annonce für Juni nehmen würden. Heuer werden sicherlich viele Engländer nach Deutschland kommen. Bitte übergeben Sie Frau Wigman meine besten Grüsse. Ich werde eventuell bei den Wettbewerben in Berlin sein.“ (1)

Fotograf:in unbekannt: "Mary Wigman", Portrait auf Postkarte. Herausgegeben von Emil Boden G.m.b.H. Dresden, ohne Datierung, 9,1cm x 13,9cm.

 

Mit „Wettbewerbe“ könnten die von Rudolf von Laban organisierten Tanzwettbewerbe gemeint sein, die im Rahmen der Olympischen Spiele ab dem 15. Juli 1936 stattfanden. Das zweite Blatt hat zwei horizontale Faltlinien, was darauf hinweist, dass es mit dem Brief zugesendet wurde. Es handelt sich um das Antwortschreiben der Geschäftsführerin der Wigman-Schule Dresden. Die Unterschrift ist unleserlich. Die Schreiberin dankt für den Bericht und das Angebot, lehnt jedoch eine weitere Annonce ab. Die Wigman-Schule habe ihre Sommerkurse diesmal selbst beworben. Geldmittel dafür seien nur begrenzt vorhanden. Aus der Anschrift geht hervor, dass der Brief nicht nur an „Fräulein Derra de Moreda [sic]“ (2) gerichtet ist, sondern an The Dancing Times, (3) eine Tanzzeitschrift, für die Derra de Moroda als Publizistin tätig war. Demnach erschien die Werbung für die Sommerkurse der Wigman-Schule in einer Ausgabe der Dancing Times. Leider geht nicht hervor, in welcher. 

In einem Papierumschlag ist noch ein anderes Schreiben zu finden, das mit „Mary Wigman“ unterzeichnet und auf den 4. Juni 1930 datiert ist. Das Schreiben richtet sich an Dr. Josef Strasser in Wien. Es sind keine näheren Informationen zur Person Strassers vorhanden. Auch lässt sich aus dem Brief nicht schließen, in welchem Verhältnis Wigman zu Strasser stand. Dieser hatte sich, wie aus dem Brief hervorgeht, zuvor mit drei Fragen an Mary Wigman gewandt. Wigman entschuldigt sich zu Beginn für die folgende knappe Beantwortung der Fragen. Sie sei mit Arbeit überlastet und habe nur Zeit für die notwendigsten Belange. Alle drei Fragen drehen sich um Wigmans Entscheidung Tänzerin zu werden. Die erste Frage zielt darauf ab, was der gewichtigste Entschluss in Wigmans Laufbahn gewesen sei. Die zweite Frage will in Erfahrung bringen, wie dieser Entschluss zustande kam. Drittens wollte Strasser wissen, ob für Wigman die Aussicht auf Erfolg eine Rolle gespielt hatte. Wigman beantwortet in diesem Brief alle drei Fragen mit wenigen Zeilen:

 

Der Entschluß mich völlig und uneingeschränkt dem Tanz zu widmen, alle übrigen Begabungsäußerungen der tänzerischen Idee unter- und einzuordnen. […] Ich glaube nicht, daß dieser Entschluß zustandekam, er war ganz einfach da. Einflüsse und Beratungen durch andere Menschen spielen in die aller letzten, sich fast zwangsläufig vollziehenden Entscheidungen nicht hinein. […] Erfolg hat mit diesen Dingen nichts zu tun. Nennen Sie es ein inneres Müssen, ein triebhaftes Wollen, Instinkt oder kategorischen Imperativ! Tatsache ist, daß vor den sich durch Entwicklung, Verwandlung, Leben, Sein immer wieder neu stellenden Aufgaben niemals die Aussicht auf Erfolg maßgebend war; sondern daß es ganz ehrlich jedes Mal um Bewältigung der Aufgabe ging: Kristallisations- und Schaffensprozesse, Ringen um Einheit aus Gefühl, Erlebnis, Substanz (Ausdruck) und ihre Durchformung auf der überindividuellen Ebene des Kunstwerkes.“ (4)

 

In ihren abschließenden Worten äußert Wigman die Hoffnung, dass diese knappe Antwort für den Adressaten Strasser trotz ihrer Kürze von Nutzen sei. Aus dem Brief geht nicht hervor, wofür Strasser diese Auskunft benötigt, ob rein aus eigenem Interesse, oder in Hinblick auf eine Veröffentlichung.  

Neben diesen beiden Korrespondenzen enthält die Sammlung Derra de Morodas einige Abbildungen von Mary Wigman und ihren Tänzen sowie eine umfangreiche Kollektion an Zeitungsberichten. Anhand dieser Artikel lässt sich das facettenreiche Leben Mary Wigmans, wie es für die Öffentlichkeit präsentiert wurde, in vielen Aspekten nachvollziehen. Die Sammlung enthält sechs zusammengeheftete Seiten mit dem Titel Auszüge aus den Pressebesprechungen der bisherigen Solotournée Mary Wigmans im Januar und Februar 1934. Auf diesen sechs Seiten wurden Stellen aus Berichten verschiedener Zeitungen in Deutschlands und der Schweiz abgetippt, die Mary Wigmans Solotournée kommentieren. Die Nationalzeitung Essen berichtet unter anderem: „Mary Wigman müsste gerade im heutigen Deutschland einen größeren Wirkungskreis erhalten können, indem sie ihre Erfahrungen nutzbringend weiterzugeben vermöchte.“ (5) Weiter enthält die Sammlung Zeitungsberichte aus den 1950er, -60er und -70er Jahren. Themen sind Ausstellungen, Aufführungen, Buchveröffentlichungen und Geburtstage Mary Wigmans. Die Bedeutung ihrer Tätigkeit als Tanzpädagogin für die Tanzwelt des 20. Jahrhunderts findet in vielen Berichten Raum und wird immer wieder als maßgeblich hervorgehoben. 22 Jahre lang hielt ihre tanzpädagogische Tätigkeit in Dresden an. In dieser Zeit von den 1920er- bis in die 1940er Jahre unterrichtete Wigman einige Schüler:innen, die sich selbst hernach einen Namen in der Tanzwelt machten. Das Heidelberger Tageblatt nennt in einem Bericht von 1960 Harald Kreutzberg, Gret Palucca, Yvonne Georgi und Dore Hoyer. (6) Es ist denkbar, dass Wigman aufgrund ihrer pädagogischen Tätigkeit in der Wigman-Schule Dresden zusätzlich zu ihren Tanzaufführungen nur wenig Zeit fand, um Anfragen wie die von Josef Strasser zu beantworten. Der oben zitierte Brief zeigt aber auch, dass Wigman, trotz ihres straffen Terminkalenders, bemüht war, andere an ihren inneren Beweggründen und an ihrem Tanzverständnis teilhaben zu lassen. 

Andere Zeitungsartikel geben ebenfalls kleine Einblicke in Mary Wigmans tanzpädagogische Tätigkeit. Nach dem zweiten Weltkrieg lehrte Wigman etwa 10 Jahre lang in der Akademie der Darstellenden Künste in Leipzig. Diese Akademie wurde während des Kalten Krieges geschlossen. Während und auch noch nach dieser Zeit führte Wigman zehn Jahre lang eine Tanzschule in Berlin namens Wigman Studio. (7) Neben Berichten über Mary Wigmans Lebenslauf enthält die Sammlung der Derra de Moroda Dance Archives auch Interviews mit Wigman. Eines dieser Interviews aus einem Bericht der Kölnischen Rundschau gibt Aufschluss über Wigmans Unterrichtsweisen und ihr Verhältnis zu ihren Schüler:innen. „Ich würde gerne noch etwas von der jungen Generation wissen, mit der Sie arbeiten. Wie reagiert sie? Wie ist ihre Aufnahmefähigkeit?“ (8), fragt Karla Höcker. Wigman antwortet: 


Ich habe den Eindruck, daß die Jüngsten, heute etwa 20-Jährigen, anders sind als die Jugend nach 1945. Sie haben keine Angst mehr vor Gefühlen, empfinden sie nicht ausschließlich als Sentimentalität. Als ich kürzlich meinen Schülern die Aufgabe stellte, die Gebärde einer Hand mit wenigen Worten dichterisch und tänzerisch zu gestalten etwa wie in einem japanischen Kurz-Gedicht , war ich überrascht, mit wieviel persönlicher Empfindung das geschah. Die Schüler begeisterten sich an diesem Versuch; hier scheint etwas Neues aufblühen zu wollen, etwas, das eine ganze Weile verschüttet schien.“ (9) 


In einem Artikel der Frankfurter Illustrierten wird Wigman ebenfalls in Bezug auf ihre tanzpädagogische Tätigkeit zitiert: „Ich habe stets für das lebendig gelebte Leben und seine spontanen Äußerungen sehr viel mehr übriggehabt, als für pedantisch gehandhabte Lehrmethoden.“ (10)

(1) Derra de Moroda, FridericaBrief an die Wigman Schule Dresden. 6.5.1936, London.

(2) Geschäftsführung der Wigman Schule Dresden. Antwortschreiben an Friderica Derra de Moroda. 18.5.1936, Dresden.

(3) Vgl. ebd.

(4) Wigman, Mary. Brief an Dr. Strasser in Wien. Maschinschrift mit eigenhändiger Unterschrift. 4.6.1930, München. 

(5) [Unbekannte:r Autor:in]. Auszüge aus den Pressebesprechungen der bisherigen Solotournée Mary Wigmans im Januar und Februar 1934Auszug aus der Nationalzeitung Essen. S. 5f.

(6) Vgl. Luckow, Heinz. „Liebe zu Terpsichore“. Heidelberger Tageblatt, Januar 1960, [o.S.].

(7) Vgl. Prilipp, Beda. „In einem grauen Haus“. Telegraf, März 1959, [o.S.]. 

(8) Höcker, Karla. „Keine Angst mehr vor Gefühlen. Ein Gespräch von Karla Höcker mit der Tanzpädagogin Mary Wigman“. Kölnische Rundschau, Mai 1960, [o.S.].

(9) Ebd.

(10)  Wigman, Mary, zit. nach Strauss, Linda. „Lebenstanz“. Frankfurter Illustrierte, März 1961, S. 42.

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Katharina Hosemann: „Etwas Neues aufblühen [lassen]“ – Mary Wigmans Tätigkeit als Tanzpädagogin nach Quellen in den Derra de Moroda Dance Archives

Katharina Hosemann: „Etwas Neues aufblühen [lassen]“

Mary Wigmans Tätigkeit als Tanzpädagogin nach Quellen in den Derra de Moroda Dance Archives

Katharina Hosemann, fortgeschrittene Studierende an der Abteilung Musik- und Tanzwissenschaft der Universität Salzburg, hat sich im Zuge ihres Praktikums in den Derra de Moroda Dance Archives mit den Beständen von Mary Wigman und ihren pädagogischen Tätigkeiten auseinandergesetzt. 

In den Sammlungen Friderica Derra de Morodas findet man eine kurze Korrespondenz zwischen ihr und der Wigman-Schule in Dresden. Es handelt sich um zwei vergilbte Blätter Papier. Derra de Moroda schreibt am 6. Mai 1936 aus London an das Sekretariat der Wigman-Schule:  


„Ich bin gerne bereit Notizen über Ihre Schule zu bringen wenn Sie mir immer die Nachrichten bis zum 10. des Monats einsenden. Ueber Ihre Sommerkurse habe ich bereits berichtet und wollte auch anfragen ob Sie nicht eine Annonce für Juni nehmen würden. Heuer werden sicherlich viele Engländer nach Deutschland kommen. Bitte übergeben Sie Frau Wigman meine besten Grüsse. Ich werde eventuell bei den Wettbewerben in Berlin sein.“ (1) 

Fotograf:in unbekannt: "Mary Wigman", Portrait auf Postkarte. Herausgegeben von Emil Boden G.m.b.H. Dresden, ohne Datierung, 9,1cm x 13,9cm.

 

Mit „Wettbewerbe“ könnten die von Rudolf von Laban organisierten Tanzwettbewerbe gemeint sein, die im Rahmen der Olympischen Spiele ab dem 15. Juli 1936 stattfanden. Das zweite Blatt hat zwei horizontale Faltlinien, was darauf hinweist, dass es mit dem Brief zugesendet wurde. Es handelt sich um das Antwortschreiben der Geschäftsführerin der Wigman-Schule Dresden. Die Unterschrift ist unleserlich. Die Schreiberin dankt für den Bericht und das Angebot, lehnt jedoch eine weitere Annonce ab. Die Wigman-Schule habe ihre Sommerkurse diesmal selbst beworben. Geldmittel dafür seien nur begrenzt vorhanden. Aus der Anschrift geht hervor, dass der Brief nicht nur an „Fräulein Derra de Moreda [sic]“ (2) gerichtet ist, sondern an The Dancing Times, (3) eine Tanzzeitschrift, für die Derra de Moroda als Publizistin tätig war. Demnach erschien die Werbung für die Sommerkurse der Wigman-Schule in einer Ausgabe der Dancing Times. Leider geht nicht hervor, in welcher. 

In einem Papierumschlag ist noch ein anderes Schreiben zu finden, das mit „Mary Wigman“ unterzeichnet und auf den 4. Juni 1930 datiert ist. Das Schreiben richtet sich an Dr. Josef Strasser in Wien. Es sind keine näheren Informationen zur Person Strassers vorhanden. Auch lässt sich aus dem Brief nicht schließen, in welchem Verhältnis Wigman zu Strasser stand. Dieser hatte sich, wie aus dem Brief hervorgeht, zuvor mit drei Fragen an Mary Wigman gewandt. Wigman entschuldigt sich zu Beginn für die folgende knappe Beantwortung der Fragen. Sie sei mit Arbeit überlastet und habe nur Zeit für die notwendigsten Belange. Alle drei Fragen drehen sich um Wigmans Entscheidung Tänzerin zu werden. Die erste Frage zielt darauf ab, was der gewichtigste Entschluss in Wigmans Laufbahn gewesen sei. Die zweite Frage will in Erfahrung bringen, wie dieser Entschluss zustande kam. Drittens wollte Strasser wissen, ob für Wigman die Aussicht auf Erfolg eine Rolle gespielt hatte. Wigman beantwortet in diesem Brief alle drei Fragen mit wenigen Zeilen:

 

Der Entschluß mich völlig und uneingeschränkt dem Tanz zu widmen, alle übrigen Begabungsäußerungen der tänzerischen Idee unter- und einzuordnen. […] Ich glaube nicht, daß dieser Entschluß zustandekam, er war ganz einfach da. Einflüsse und Beratungen durch andere Menschen spielen in die aller letzten, sich fast zwangsläufig vollziehenden Entscheidungen nicht hinein. […] Erfolg hat mit diesen Dingen nichts zu tun. Nennen Sie es ein inneres Müssen, ein triebhaftes Wollen, Instinkt oder kategorischen Imperativ! Tatsache ist, daß vor den sich durch Entwicklung, Verwandlung, Leben, Sein immer wieder neu stellenden Aufgaben niemals die Aussicht auf Erfolg maßgebend war; sondern daß es ganz ehrlich jedes Mal um Bewältigung der Aufgabe ging: Kristallisations- und Schaffensprozesse, Ringen um Einheit aus Gefühl, Erlebnis, Substanz (Ausdruck) und ihre Durchformung auf der überindividuellen Ebene des Kunstwerkes.“ (4)

 

In ihren abschließenden Worten äußert Wigman die Hoffnung, dass diese knappe Antwort für den Adressaten Strasser trotz ihrer Kürze von Nutzen sei. Aus dem Brief geht nicht hervor, wofür Strasser diese Auskunft benötigt, ob rein aus eigenem Interesse, oder in Hinblick auf eine Veröffentlichung.  

Neben diesen beiden Korrespondenzen enthält die Sammlung Derra de Morodas einige Abbildungen von Mary Wigman und ihren Tänzen sowie eine umfangreiche Kollektion an Zeitungsberichten. Anhand dieser Artikel lässt sich das facettenreiche Leben Mary Wigmans, wie es für die Öffentlichkeit präsentiert wurde, in vielen Aspekten nachvollziehen. Die Sammlung enthält sechs zusammengeheftete Seiten mit dem Titel Auszüge aus den Pressebesprechungen der bisherigen Solotournée Mary Wigmans im Januar und Februar 1934. Auf diesen sechs Seiten wurden Stellen aus Berichten verschiedener Zeitungen in Deutschlands und der Schweiz abgetippt, die Mary Wigmans Solotournée kommentieren. Die Nationalzeitung Essen berichtet unter anderem: „Mary Wigman müsste gerade im heutigen Deutschland einen größeren Wirkungskreis erhalten können, indem sie ihre Erfahrungen nutzbringend weiterzugeben vermöchte.“ (5) Weiter enthält die Sammlung Zeitungsberichte aus den 1950er, -60er und -70er Jahren. Themen sind Ausstellungen, Aufführungen, Buchveröffentlichungen und Geburtstage Mary Wigmans. Die Bedeutung ihrer Tätigkeit als Tanzpädagogin für die Tanzwelt des 20. Jahrhunderts findet in vielen Berichten Raum und wird immer wieder als maßgeblich hervorgehoben. 22 Jahre lang hielt ihre tanzpädagogische Tätigkeit in Dresden an. In dieser Zeit von den 1920er- bis in die 1940er Jahre unterrichtete Wigman einige Schüler:innen, die sich selbst hernach einen Namen in der Tanzwelt machten. Das Heidelberger Tageblatt nennt in einem Bericht von 1960 Harald Kreutzberg, Gret Palucca, Yvonne Georgi und Dore Hoyer. (6) Es ist denkbar, dass Wigman aufgrund ihrer pädagogischen Tätigkeit in der Wigman-Schule Dresden zusätzlich zu ihren Tanzaufführungen nur wenig Zeit fand, um Anfragen wie die von Josef Strasser zu beantworten. Der oben zitierte Brief zeigt aber auch, dass Wigman, trotz ihres straffen Terminkalenders, bemüht war, andere an ihren inneren Beweggründen und an ihrem Tanzverständnis teilhaben zu lassen. 

Andere Zeitungsartikel geben ebenfalls kleine Einblicke in Mary Wigmans tanzpädagogische Tätigkeit. Nach dem zweiten Weltkrieg lehrte Wigman etwa 10 Jahre lang in der Akademie der Darstellenden Künste in Leipzig. Diese Akademie wurde während des Kalten Krieges geschlossen. Während und auch noch nach dieser Zeit führte Wigman zehn Jahre lang eine Tanzschule in Berlin namens Wigman Studio. (7) Neben Berichten über Mary Wigmans Lebenslauf enthält die Sammlung der Derra de Moroda Dance Archives auch Interviews mit Wigman. Eines dieser Interviews aus einem Bericht der Kölnischen Rundschau gibt Aufschluss über Wigmans Unterrichtsweisen und ihr Verhältnis zu ihren Schüler:innen. „Ich würde gerne noch etwas von der jungen Generation wissen, mit der Sie arbeiten. Wie reagiert sie? Wie ist ihre Aufnahmefähigkeit?“ (8), fragt Karla Höcker. Wigman antwortet: 


Ich habe den Eindruck, daß die Jüngsten, heute etwa 20-Jährigen, anders sind als die Jugend nach 1945. Sie haben keine Angst mehr vor Gefühlen, empfinden sie nicht ausschließlich als Sentimentalität. Als ich kürzlich meinen Schülern die Aufgabe stellte, die Gebärde einer Hand mit wenigen Worten dichterisch und tänzerisch zu gestalten etwa wie in einem japanischen Kurz-Gedicht , war ich überrascht, mit wieviel persönlicher Empfindung das geschah. Die Schüler begeisterten sich an diesem Versuch; hier scheint etwas Neues aufblühen zu wollen, etwas, das eine ganze Weile verschüttet schien.“ (9) 


In einem Artikel der Frankfurter Illustrierten wird Wigman ebenfalls in Bezug auf ihre tanzpädagogische Tätigkeit zitiert: „Ich habe stets für das lebendig gelebte Leben und seine spontanen Äußerungen sehr viel mehr übriggehabt, als für pedantisch gehandhabte Lehrmethoden.“ (10)

(1) Derra de Moroda, FridericaBrief an die Wigman Schule Dresden. 6.5.1936, London.

(2) Geschäftsführung der Wigman Schule Dresden. Antwortschreiben an Friderica Derra de Moroda. 18.5.1936, Dresden.

(3) Vgl. ebd.

(4) Wigman, Mary. Brief an Dr. Strasser in Wien. Maschinschrift mit eigenhändiger Unterschrift. 4.6.1930, München. 

(5) [Unbekannte:r Autor:in]. Auszüge aus den Pressebesprechungen der bisherigen Solotournée Mary Wigmans im Januar und Februar 1934Auszug aus der Nationalzeitung Essen. S. 5f.

(6) Vgl. Luckow, Heinz. „Liebe zu Terpsichore“. Heidelberger Tageblatt, Januar 1960, [o.S.].

(7) Vgl. Prilipp, Beda. „In einem grauen Haus“. Telegraf, März 1959, [o.S.]. 

(8) Höcker, Karla. „Keine Angst mehr vor Gefühlen. Ein Gespräch von Karla Höcker mit der Tanzpädagogin Mary Wigman“. Kölnische Rundschau, Mai 1960, [o.S.].

(9) Ebd.

(10)  Wigman, Mary, zit. nach Strauss, Linda. „Lebenstanz“. Frankfurter Illustrierte, März 1961, S. 42.